„Das Publicum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnen-Aufgang“: Was macht Sport zum Entertainment? Und woran fehlt es beim Golf? Eine Betrachtung: der WOW-Effekt.
Henry Ford, gleichermaßen Auto-Pionier wie Marketing-Genie, hat mal notiert: „Enten legen ihre Eier in Stille. Hühner gackern dabei wie verrückt. Die Folge: Alle Welt isst Hühnereier.“ Und was hat das mit Sport im Allgemeinen und Golf im Besonderen zu tun?
Alles, wiewohl Ford damit in erster Linie auf unabdingbares Werbegegacker anspielte: Ohne Spektakel geht’s offenbar nicht. Womit die Fragestellung eigentlich beantwortet ist: Welche Faktoren machen Sport zum Entertainment? Warum fehlen Golf viele solcher Faktoren? Was ist zu tun, um das Spiel für die Allgemeinheit attraktiver zu machen, ohne seine Wurzeln, seine DNA zu verleugnen und zu verbiegen, ohne es zur Unkenntlichkeit zu verfälschen?
Denn Golf ist gewiss vieles, Spektakel allerdings nur ganz selten. Stattdessen wirkt es oft reliktisch angesichts der modernen Spaßkultur: geplagt von Zeitaufwand, einem komplexen Bewegungsablauf, regularischer Kompliziertheit und dem Image des schrägen Vergnügens für Soignierte und Senioren. Derweil flattert die Freizeitgesellschaft 4.0 am Steilhang des modernen Lebens aus Unrast, Unstetigkeit und Umtriebigkeit von Angebotsblüte zu Angebotsblüte – hier ein bisschen Entertainment, da ein wenig Thrill, dort etwas Amüsement. Vor einigen Jahren hat der Freizeitforscher Prof. Horst Opaschowski konstatiert: „Alles, was über zwei Stunden dauert, stagniert oder geht zurück.“ Will heißen: Niemand verschreibt sich mehr wirklich einer Passion. Golf freilich ist verschreibungspflichtig.
Beim Ryder Cup, ja, da wacht die Welt auf, weil es auf den Tribünen am ersten Abschlag zugeht wie in der Fankurve des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund. Gerade erst in Whistling Straits am Lake Michigan wieder zu besichtigen, wo sich der alte und der neue (Golf-)Kontinent zum 43. Mal maßen. Oder die Gröl-Gaudi im TPC Scottsdale, sobald die PGA Tour zur „Greenest Show on Earth“ aka Phoenix Open in Arizona einfällt – und die Abfallwirtschaft als Hauptsponsor (Waste Management Inc.) gleich mitbringt. Ein ziemlich smarter Move angesichts der Berge von Plastikbechern, die allein bei den Bier-Bacchanalien am Party-Loch Nummer 16 anfallen. Dann schafft Golf es in die Mainstream-Medien. Wahlweise ebenso, wenn Tiger Woods diversen Damen außerehelich die Aufwartung macht oder John Daly mit zerkratztem Gesicht zur Tee-Time auftaucht, weil die Gattin beim vorabendlichen Ehestreit die Gabel zweckentfremdet hat. Und der Boulevard jubelt.
Selbst sportlich taugt das Spiel manchmal zur Schlagzeile. Jon Rahms „geflitschtes“ Hole-in-one am Dienstag des November-Masters 2020 fand tatsächlich in den Abendnachrichten statt. Oder Bryson DeChambeau muss die Murmel bloß mal wieder über die 350-Meter-Marke hinausballern, dann übersteht Golf prompt den Cut und schafft es buchstäblich ins Wochenende und aus den Spartenkanälen in die Sportsendungen – als Pittoreske aus einer fremden Welt. Immerhin.
Aber sonst? Was soll das Massen-TV denn zeigen? Golf ist eine zwar dynamische, indes ebenso fein ziselierte Betätigung, deren Herausforderungen niemand auch nur im Ansatz nachvollziehen kann, der noch keinen Schläger in der Hand gehalten und nach dem Ball geschwungen hat. Während alle Welt garantiert mal mit zerknülltem Stanniolpapier auf ein Garagentor gebolzt oder sonst welche Dinge getan hat, die der Homo ludens, der spielende Mensch, Breitensport nennt.
Golfturniere sind zudem zähe, ermüdende Mehrtages-Angelegenheiten in grünen Refugien, bei denen Dutzende von betulich einherschreitenden Menschen über Stunden und auf etliche Kilometer verteilt mal hier einen Schlag tun, mal dort nach dem Ball stupsen, zwischendurch wie Spürhunde nach dem Wind wittern und unverständliche Zwiesprache mit Bediensteten in Kitteln oder Overalls halten, die ihnen das Besteck hinterherschleppen. Derweil versuchen die Kameras, Höhepunkte einzufangen und Einzelaktionen zu extrahieren, vermitteln allerdings letztlich nur Momentaufnahmen.
Das soll Wettkampf sein? Hallo? Wie schrieb Friedrich Schiller einst in seinem „Lied von der Glocke“: „Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß, / Soll das Werk den Meister loben …“
Andere Sportarten leben vom geballten, zeitlich überschaubaren Spektakel. Von Höchstleistungen im Grenzbereich. Keuchen, stöhnen, japsen. Grätschen, boxen, klammern. Schwitzen, speicheln, bluten. Durch die Luft segeln, aus Kurven driften, ins Ziel hechten. Auge um Auge etc., himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, Freude und Fron ins Gesicht geschrieben: So was törnt den Zuseher an.
Noch ein Beispiel gefällig: American Football. Nur die wenigsten verstehen seine Finessen und die Kunstfertigkeit der Akteure; vielen sogar ist kaum bewusst, dass da Rasenschach zwischen Distanzlinien gespielt wird. Doch nach außen wirkt das Ganze eher, als würden sämtliche Königreiche von Westeros beim „Game of Thrones“ wüst und scheppernd übereinander herfallen. Und die Galerie jubelt.
Was zu beweisen war. Schon im 19. Jahrhundert wusste der deutsche Dramatiker Friedrich Hebbel: „Das Publicum beklatscht ein Feuerwerk, aber keinen Sonnen-Aufgang.“ Und von der Kunst-Koryphäe Salvador Dalí ist überliefert: „Wer interessieren will, muss provozieren.“
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