Es klingt im ersten Moment wie ein Traum: Morgens aus dem Bett aufstehen und zu Fuß von der Haustür direkt zum ersten Tee marschieren. Geht nur im Urlaub? Nicht ganz, in Amerika ist diese Fantasie für viele Golfer alltägliche Realität. Das Modell „Golf Course Community“ legte in vielen Regionen der USA die Basis für den Sport, kurz vor der Jahrtausendwende sogar in zu vielen. Ausgerechnet durch die Covid-Krise kommt die etwas angestaubte Idee aber wieder in Mode und stellt sich damit den neuen Herausforderungen der heutigen Zeit.
In den 1910er-Jahren hatte Bertha Honoré Palmer, die Witwe des berühmten Chicagoer Geschäftsmanns Potter Palmer, eine Vision. Als eine der reichsten Grundbesitzerinnen in ganz Florida gehörte ihr zur damaligen Zeit unter anderem Riverhills, ein Wildreservat von enormer natürlicher Schönheit und eines der begehrtesten Jagdgebiete im gesamten Sunshine State. Als sie ihren Blick über einen besonderen Teil ihres Landes namens Temple Terrace schweifen ließ, formte sich in ihrem Kopf das Bild eines erstklassigen, herausfordernden Golfplatzes inmitten leuchtender Zitronenhaine.
Das allein wäre wohl nicht bemerkenswert gewesen, hätte die gute Dame den Platz nicht als Zentrum einer kleinen, aber feinen Gemeinde gesehen. Eines Wohngebiets, welches sich direkt an die malerischen Fairways und saftigen Grüns heranschmiegt. Die Jahrhundertidee der amerikanischen „Golf Course Community“ war der Legende nach in genau diesem Moment geboren.
Die Genugtuung über deren Umsetzung blieb Bertha Palmer allerdings verwehrt, ebenso wie die Erkenntnis, dass ihr Modell in der Zukunft viele Real-Estate-Agenten in den USA sehr glücklich machen sollte. Palmer verstarb 1918 im Alter von 69 Jahren, aber ihr Bruder setzte die Bemühungen mit Augenmerk auf ihren Willen fort. So entstand Temple Terrace im Jahr 1920, zwei Jahre danach folgte die Fertigstellung des heute im National Register of Historic Places aufgeführten Golfplatzes unter dem Namen „Mediterranean Golf Course Community“. Ursprünglich sollten die Reichen und Schönen der damaligen Zeit die luxuriösen Anwesen nur für wenige Monate während der Wintersaison nutzen, warum auch viele der Häuser gar keine Küche besaßen. Die Anziehungskraft Floridas war jedoch stark genug, um mehrere Menschen zum dauerhaften Verweilen zu bewegen. Nicht zuletzt, weil das Leben mit Blick auf einen Golfplatz etliche Vorteile bietet.
Golfen & Wohnen in Amerika
Von dieser Tatsache überzeugen sich noch in der heutigen Zeit Millionen Amerikaner. Der Begriff „Golf Course Community“ ist längst kein Novum mehr, sondern fester Bestandteil der US-Golfindustrie. Der Kauf eines Hauses beinhaltet hier oft die Clubmitgliedschaft und beteiligt Käufer direkt am Bau sowie der Instandhaltung der Golfanlage. Wohnrecht ist in „Bundled Golf Communities“ gleichbedeutend mit Spielrecht und das in der Regel ganz ohne hohe Aufnahmegebühren. Ungefähr ein Fünftel aller aktuellen Golfplätze im Land der unbegrenzten Möglichkeiten entstand als Teil eines geplanten Immobilienprojektes, und dementsprechend sind die Nutzen eines solchen Arrangements für viele US-Golfer fester Bestandteil des Sports mit der kleinen weißen Kugel.
Vom Frühstückstisch aus können sie beim zweiten Kaffee im Idealfall die vorbeispielenden Early Birds beobachten und aus sicherer Entfernung deren morgendliche Schwünge kommentieren. Die natürlichen Farben des Platzes vermitteln tagtäglich Ruhe und schaffen atemberaubende Ausblicke in der untergehenden Abendsonne. Der eigene Tee-off ist nur einen Spaziergang oder kurzen Cart-Ride durch zumeist bestens gepflegte Anlagen entfernt. Neben dem Golfplatz bieten viele Communitys zusätzliche Freizeitmöglichkeiten, und so ähneln manche Top-Adressen viel mehr einem Vergnügungspark für die gesamte Familie als einem regulären Golfplatz mit ein paar Grundstücken drumherum.
Beispiele für die wahnwitzige Entwicklung, welche Golfgemeinden vielerorts genommen haben, findet man zuhauf. The Bear’s Club in Jupiter, Florida, trägt nicht nur den Namen des großen Jack Nicklaus, der 18-fache Majorsieger besitzt hier auch ein Haus in der Nachbarschaft von Rory McIlroy und Michael Jordan. Wer diese Weltstars beim Zeitungreinholen treffen möchte, der muss fünf Millionen aufwärts für ein Eigenheim bezahlen, die wirklich guten Ausblicke gibt es allerdings erst im zweistelligen Millionenbereich.
Andere Communitys warten mit geradezu monströsen Ausmaßen auf, wie zum Beispiel Desert Mountain in Scottsdale, Arizona. Die riesige Anlage besteht aus 35 Nachbarschaften mit insgesamt 1707 Häusern, die sich um sechs verschiedene Golfplätze verteilen. Nicht nur physische Dimensionen scheinen wenig Grenzen zu kennen, auch der Kreativität der Freizeitgestaltung stehen vielerorts alle Tore offen. Fitnesscenter, Restaurants, Spas oder eigene kleine Yachthafen gelten mittlerweile fast schon als Standard. Wesentlich innovativer ist da schon The Greenbrier in West Virginia, Heimat unter anderem von Bubba Watson, Nick Faldo und NBA-Legende Jerry West, wo mit der Besichtigung eines Atomschutzbunkers aus dem Kalten Krieg geworben wird.
„Wir müssen alle zu jeder Zeit außerhalb unserer eigenen vorstellungskraft denken. was die Menschen heute gut finden, kann den Käufer von morgen vielleicht schon nicht mehr interessieren. Von daher befindet sich die Industrie in einem ständigen Wandel.“
WILLIAM E. LANGLEY, GENERAL MANAGER DES QUAIL RIDGE COUNTRY CLUB IN BOYNTON BEACH, FLORIDA.
Sind an gewissen Luxusorten vor allem die oberen Zehntausend an dieser Entwicklung interessiert, gilt das Leben in einer Golf Course Community auch schon lange für Teile der US-Mittelklasse als attraktive Lebensidee. Diese kann verschieden interpretiert werden, entweder als Altersruhesitz, Ferienhaus oder eben als Lebensmittelpunkt. Gerade in den 1950er- und 1960er-Jahren erlebten Golf Course Communities einen Boom, als Golf zunehmend vom elitären Zeitvertreib der High Society zum Spiel für die amerikanischen Massen wurde.
In dieser Zeit entdeckten Immobilienmakler den Golfplatz als attraktive Aufwertung ihres Angebots und gaben fortan in Kooperation mit solventen Investoren den Startschuss für zahllose Siedlungsentwicklungen. Parallel dazu entstand in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg die Generation der „Baby-Boomer“, welche ein Vierteljahrhundert später den nächsten großen Aufschwung der Golfgemeinden in den 1990er-Jahren begründen sollte. Während kurz vor Ende des Jahrtausends jährlich um die 400 Golfplätze landesweit ihre Tore öffneten, nicht wenige als Teil eines großen Real-Estate-Projekts, brauten sich am Horizont dunkle Wolken für die gesamte Industrie zusammen.
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