Golf ist Fitting für Hirn und Herz, Kreislauf und Körper und verlängert die aktive Lebenszeit. Das Spiel sollte es auf Rezept geben.
Es gilt als praktikabel, einen Artikel mit einem Bildnis einzuleiten. Dieser beginnt mit deren zwei. Das erste Foto zeigt Ben Hogan und Arnold Palmer beim Masters 1966. Der Hawk und der King warten in all ihrer kernig-smarten Lässigkeit am Abschlag: blaue Cardigans, blaue Bundfaltenhosen, polierte schwarze Budapester, auf den Driver gestützt und mit der seinerzeit fast unvermeidlichen Zigarette zwischen den Lippen. Motiv Nummer zwei ist wesentlich jüngeren Datums und eine Art moderner Gegenentwurf. Es zeigt Rory McIlroy und Alex Norén, die ebenfalls warten – und derweil Bananen mümmeln. Damals und heute: panta rhei, alles fließt.
Die beiden Fotos sagen viel über Golf und das als Sport immer wieder verkannte Spiel. Palmer berserkerte seinerzeit über die Fairways, schwitzend und mit flatternden Hemdzipfeln. Der King und sein Charisma machten Golf überhaupt erst telegen. Er war ein American Idol, wie zuvor allenfalls Bob Jones. Hogan wiederum, menschenscheu und auf dem Platz eiskalt, spielte mit der eintönigen Präzision eines Metronoms.
Heutzutage gehen Hochleistungsathleten wie McIlroy oder Norén mit ihrem sportiven Habitus in der Selbstoptimierungsgesellschaft unter, die Casual Wear und Sneaker ohnehin zur Salonfähigkeit erhoben hat und sich mit Smoothies und Veggie-Snacks gesundbetet. Die Dynamik ihres Tuns bleibt Uneingeweihten wegen der vermeintlichen Mühelosigkeit meist verborgen – mangels Expertise, und weil es nur selten im Mainstream gezeigt und erläutert wird. Das Kontrastprogramm liefern John Daly und Co mit ihren Kapriziositäten, genährt von Junkfood, Nikotin und Koffein. Dass der Klops mit dem Weihnachtsmann-Rauschebart ein begnadeter Shotmaker ist, sieht man ihm erst recht nicht an.
Wie auch? Wie soll man ohne Trikot und Trainingsanzug, ohne Schweiß und Schnappatmung den Sportler vom Poser unterscheiden? Was beim Golf so einfach, im Wortsinn spielerisch wirkt und was wirklich dahintersteckt, kann nur ermessen, wer selbst mal einen Schläger in der Hand hatte.
Ohnehin schwitzen vor allem Novizen. Wie der Kreisligafußballer aus dem entfernten Bekanntenkreis, der anfangs eher mitleidig lächelte und nach zehn Minuten mit dem Wedge auf der Range im eigenen Saft stand. Oder der Kollege aus einem anderen Sportmetier, der mal mit auf die Runde wollte und sich anbot, das leichte Tragebag zu übernehmen. Am Ende war er selbst ohne die 200 Probeschwünge und Schläge fix und fertig, die unsereins über 18 Loch macht – und die für Außenstehende anmuten wie eine komplizierte Melange aus zehn Yoga-Übungen.
Allerdings, Transpiration und Laktatüberschuss müssen gar nicht sein, um eine sportliche Betätigung als solche zu definieren. „Der Sportbegriff kann nicht derart eng gefasst werden, dass man immer davon ausgehen muss, dass alles in Wallung gerät“, bestätigt Deutschlands bekanntester Sportwissenschaftler Professor Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Und Golf ist eben nicht elitär, wie es ja häufig beschrieben wird, sondern es ist eine sportliche Aktivität“ (siehe Seite 26).
Golf ist Sport
Und Sport ist gut für die Gesundheit. Der wahre Wert des Spiels geht in all den Klischees indes weitgehend unter. Golf ist Fitting für Hirn und Herz, Kreislauf und Körper und verlängert die aktive Lebenszeit. Letzteres hat das renommierte schwedische Karolinska-Institut nahe Stockholm 2008 festgestellt: Golfer, die regelmäßig spielen – etwa zweimal pro Woche –, leben im Schnitt fünf Jahre länger als Nichtgolfer. Europas größte medizinische Universität analysierte die Lebensdauer von rund 300.000 Aktiven, die nach 1920 geboren und vor 2001 mit dem Spiel begonnen haben. Spielend altern also.
„Eine moderate körperliche Aktivität wie Golf sie darstellt, erhöht die Lebenserwartung“, betonte vor einigen Jahren ebenso Dr. Andrew Murray, Leiter des Golf & Health Project an der Universität von Edinburgh. Das Spiel unterstütze die Vorsorge und Behandlung bei mehr als 40 wichtigen chronischen Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Diabetes, Brust- und Dickdarmkrebs, helfe zudem bei psychiatrischen Befunden wie Depression und Demenz und fördere schlichtweg Gesundheit und Wohlbefinden. Murray wurde bei seiner Forschungsarbeit vom R&A finanziell unterstützt und hat die Erkenntnisse zum Gesundheitssport Golf mehrfach veröffentlicht, unter anderem im „British Journal of Sports Medicine“. Folglich müsste die einige Seiten zuvor erwähnte dumme Frage über die Kombination von Sex und Golf eigentlich lauten: „Golfst du noch oder siechst du schon?“
Zahlreiche Arbeiten freilich belegen, dass die präventive Wirkung von Golf bei weitem nicht so bekannt ist, wie es wünschenswert wäre. Eine Studiengruppe der Universität Washington hat herausgefunden, dass zwar 63,5 Prozent der Befragten in den USA um den positiven Effekt von körperlicher Betätigung für das Herz-Kreislauf-System wissen, doch bloß 3,4 Prozent ist bewusst, dass moderate Belastung im Ausdauerbereich sogar der Krebsvorsorge dient und das Risiko von Brust- oder Darmkrebs reduzieren kann.
Laut des Forschungscenters für Sport und Sportindustrie (SIRC) an der Sheffield Hallam University reduziert bereits eine 18-Loch-Runde pro Woche, zu Fuß natürlich, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 30 Prozent. Weil beim Golfen überwiegend schädliche Fettsäuren verbrannt werden, was sich positiv auf die Blutfettwerte auswirkt. Mindestens 1.200 Kalorien verliert man unterwegs, fünf bis zehn Kilokalorien pro Minute. Deswegen kann sich Tiger Woods auch das geliebte Erdnussbuttersandwich für den kleinen Hunger zwischendurch erlauben.
Außerdem – wer wüsste das nicht – wird Golf zuvorderst zwischen den Ohren gespielt und ist damit gleichermaßen ein Denksport. Nicht nur für Bernhard Langer, der sich bei Turnieren erklärtermaßen über den Platz denkt. Wie sehr der Kopf involviert ist, kennt jeder, der mangels Training ab Loch 12 oder so schon mal ins Konzentrationskoma gefallen ist. Die mentale Komponente wirkt auf die Konstitution. Und umgekehrt. Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper: Das bedingt sich wechselseitig.
Der R&A hat 2018 anlässlich der Open Championship in Carnoustie eine Studie vorgestellt, die zeigt, wie positiv gerade Golf als „Sport für die gesamte Lebensspanne“ das mentale Gefüge beflügeln kann. Demnach bescheinigten sich 72 Prozent der über 1.500 befragten Golfer einen guten Gesundheitszustand, gesamtgesellschaftlich taten das 51 Prozent. 80 Prozent der Golfer waren mehr als nur zufrieden mit ihrem sozialen Leben und der Einbindung in einen Kreis von Freunden oder zumindest Gleichgesinnten. Die generelle Quote lag hier bei 60 Prozent. Außerdem bezeichneten sich Golfer um das Zweieinhalbfache weniger als ängstlich und fühlten sich um denselben Faktor geringer von Einsamkeit bedroht als „der Rest der Welt“.
Überhaupt beweisen die Gralshüter des Golfsports im schottischen St Andrews jenseits des Etiketts britischer Steifigkeit immer wieder enorme Wendigkeit und viel Bewusstsein für innovatives Denken. Sie haben begriffen und verinnerlicht, dass die gesundheitlichen Aspekte – nebst den ökologischen – ein probates Mittel sind, wider die Vorurteile zu punkten und Golf gesamtgesellschaftlich zu legitimieren.
Während die bereits 2017 vom Deutschen Golf Verband (DGV) groß angekündigte Gesundheitsinitiative bis auf die Anfang 2023 herausgegebene Broschüre „Golf & Gesundheit“ weiterhin auf sich warten lässt, startet der R&A regelmäßig Golf & Health Weeks. Durch zahlreiche Aktivitäten und Aktionen soll das öffentliche Bewusstsein für die gesundheitlichen Vorteile des Golfspiels bestärkt oder überhaupt erst geweckt werden. „Es ist wichtig, dass wir Golf unablässig als perfekte spielerische Betätigung für alle Altersklassen und jedwede körperlichen Fähigkeiten darstellen“, sagte R&A-Chef Martin Slumbers damals. „Und wir müssen immer wieder darauf hinweisen, welchen signifikanten Zuwachs für die Gesundheit und das Wohlbefinden Menschen erlangen, wenn sie Golf spielen.“
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Das Spiel sollte es auf Rezept geben.