Golf ist Genuss: Eine Reflexion über Golfrunden und die „Rosen am Wegrand“, über die Schönheiten des Spiels – sofern man all das genießen kann.
Da sage noch einer, Golfer hätten keine lyrische Ader. Ben Hogan war ein manischer Maximierer seiner Schlagfertigkeit, ein Trainingsbiest mit Tunnelblick. Der neunfache Majorsieger galt als introvertiert und abweisend; er ließ Menschen allenfalls per Audienz an sich heran. Wer hätte dem „Wee Iceman“ eine Sentenz von derart wundervollem Wohlklang zugetraut: „Wenn man das Fairway des Lebens hinuntergeht, sollte man von Zeit zu Zeit innehalten und an den Rosen riechen, die am Wegrand stehen; Sie bekommen nur eine Runde zu spielen.“
Zu Schulzeiten hätte die Dame, die damals Deutsch unterrichtet hat, nun gefragt: Was will der Dichter uns damit sagen? Bei aller Poesie hat Hogan es auf den Punkt gebracht – so, wie er auf der Range und auf dem Platz mit dem Gleichmaß eines Metronoms seine Bälle ins Ziel setzte. Genuss ist nicht alles, aber ohne Genuss ist alles nichts.
Gerade Golfer vergessen das oft, gefangen in Erfolgserwartung und Handicap-Hybris. Ja, Golf ist eine komplexe Angelegenheit, die uns zum Wüten und Weinen bringen kann. Und oft fliegt mit dem ersten abseitigen Drive gleichermaßen der Genuss „out of bounds“, die Freude am Tun, der Spaß, die Entspannung. Das Verständnis für ein Privileg, für die Exklusivität des Erlebnisses, sich in einem Refugium tummeln zu dürfen. Golf ist voller Schönheit, voller Schönheiten. Golf ist geistige Herausforderung, seelische Nahrung, körperliches Wohl. Ganz ehrlich, wer so was nicht genießt, ist undankbar.
Aber was ist Genuss?
Auf jeden Fall ein Bewusstsein, das zu entwickeln und zu pflegen ist, für das die Sinne zu sensibilisieren sind. Ein individuelles überdies. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat ihren Lesern vor etlichen Jahren dieselbe Frage gestellt: „Was ist für Sie Genuss?“ Angesichts der Widersprüchlichkeiten beim Vergleich der Rückmeldungen wurde jedoch der „Versuch einer kollektiven Definition als gescheitert“ angesehen. In der Einleitung zum Artikel hieß es, wahrer Genuss sei gedankenlos, geschehe bewusst, sei ohne Reue, habe Folgen, sei kontrolliert, spontan, ausschweifend, reduziert. Kurz, voller Widersprüche.
Das Netz liefert bei der Suche nach einer griffigen Deutung rund 2,15 Millionen Einträge: „Genuss ist eine positive Sinnesempfindung, die mit körperlichem und/oder geistigem Wohlbehagen verbunden ist.“ Und: „Beim Genießen wird mindestens ein Sinnesorgan erregt.“ Oder: „Freude, die man beim Erleben von Angenehmem empfindet“; „Wahrnehmung von Dingen, die als schön empfunden werden“. Glück also. Das glückliche Verweilen im Augenblick und bei Kleinigkeiten. Das Glück, sich etwas zu gönnen (gönnen zu können).
Zurück in den Moment. Und an den Wild Atlantic Way im Nordwesten von Irland. Das Schild an der Natursteinmauer des Durchgangs zum ersten Tee verspricht: „Golf at the Edge of the Earth“. Darüber heißt es: „Welcome to Carne Golf Links“. Einen Drive später taucht der Wanderer in ein Meer aus Dünen mit turmhohen Wogen aus Sand und Rispengras, schlägt den Ball durch Schluchten und über Canyons, ist allein mit sich, seinem Spiel und der Welt.
Am westlichen Rand franst der Kurs zu einem schmalen Küstenstreifen aus, auf dem gerade mal Raum für ein ins Gelände geklemmte Par 3 ist; unter den tief hängenden Wolken verschmelzen Land und See zu einem Gänsehaut-Gefühl; die Fahne versteckt sich hinter einem erdigen Erker, der ins Grün ragt. Das kann man unerquicklich finden oder dank inneren Hochgefühls mit Gelassenheit als Herausforderung zur Kenntnis nehmen. „Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung“, lässt sich beim Psychoanalytiker Erich Fromm (1900–1980) nachlesen.
Deswegen ist jeder Marsch zum Ball Vorfreude. Jeder Schlag ein Spaß. Jedes Loch eine Entdeckung. Der Score ist irrelevant, das Erlebnis zählt. Die Lust dar auf, es zu teilen – selbst nur per Telefon in die Heimat. Dann das eiskalte Bier auf der Clubhausterrasse mit dem Blick auf diesen Links-Leviathan, der eine gerade wieder ausgespuckt hat – zerzaust, gleichwohl glücklich. Der Rückweg in die Realität, sprich Zivilisation. Das Dinner am Abend: Jakobsmuscheln, die morgens noch tropfnass waren; die fangfrische Makrele von der Westküste. Hach, was für ein Glück, Golfer zu sein. Wenn man genießen kann.
Genuss ist Glück. Und Glück ist ein Genuss. Leider bleibt der vielfach auf der Strecke. Zumal über 18 Loch. Drei versemmelte Bälle erwachsen zur narzisstischen Kränkung. Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817–1862), wenngleich nicht als Anhänger des damals in den USA eher als Zeitvertreib für Exzentriker bekannten Spiels, hat mal konstatiert: „Golf ist ein intimer Sport, in dem man seine eigene Natur offenbart.“
Bei entsprechendem Naturell wird aus dem Spiel rein um des Spielens willen Kampf und Krampf, wird der Genuss zum Gift. Ironisch betrachtet, geschieht uns das eigentlich sogar recht. Denn gemäß der grassierenden (Irr-)Glaubenslehre von Selbstoptimierung und Gewinnmaximierung ist Genuss per se unzulässig, weil er zu nichts gut ist, einem nichts Verwertbares (ein)bringt. Außer halt Genuss. An sich schon ein Gewinn, der allerdings so individuell ist, dass sich damit nicht mal der eigene Lebensstil allgemeingültig kuratieren und validieren lässt. Vulgo: Mit Genuss kann man kaum punkten, wuchern, angeben.
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